Abenteuer sind nicht nur eine Reise an unbekannte Orte – sie sind immer auch eine Reise zu sich selbst. Anselm Pahnke hat das auf seinen unzähligen Kilometern auf dem Fahrrad erlebt: Was passiert, wenn man mit sich selbst und den eigenen Grenzen konfrontiert wird? Wie geht man mit Unsicherheiten um?

Wir als Ryzon-Team teilen seine Sicht auf das Unterwegssein. Bikepacking bedeutet nicht nur, Distanzen zu überwinden und körperliche Grenzen zu verschieben. Das Spannendste daran ist eigentlich immer wieder, sich auf den geistigen Prozess einzulassen, den man auf so einer Reise durchläuft.
Doch manchmal sind es nicht die selbst gewählten Herausforderungen, die diesen Prozess in Gang setzen – sondern die, die das Leben für uns bereithält. Im Juli 2023 prallte Anselm beim Gleitschirmfliegen in eine Felswand. Füße, Hüfte, Wirbelsäule – alles gebrochen. Die Ärzte gaben ihm zwei Jahre, um wieder laufen zu können. Doch wenige Monate später saß er wieder auf dem Rad: Für eine zweimonatige Bikepacking-Tour durch die Anden – gemeinsam mit seinem Freund Raphael, der selbst gerade erst eine schwere Operation hinter sich hatte.
Was folgte, war eine Reise, die weit mehr war als nur ein Abenteuer auf zwei Rädern: Eine Reise der Heilung – eine Rückkehr in die Natur, zu den eigenen Kräften und zu innerer Zuversicht.
Raphael hat einen kleinen Reisebericht über die gemeinsame Zeit in Equador und Peru geschrieben, den wir hier teilen dürfen. Wir heißen Anselm herzlich in der Ryzon-Familie willkommen und wünschen dir viel Spaß beim Lesen!
Durch die Anden und Widrigkeiten: Eine Geschichte der Widerstandskraft
August 2023
Ich wache auf. Ich schaue mich um – kaum fähig, mich zu bewegen. Es muss früh am Morgen sein. Die Betäubung wirkt noch. Es ist der 29. August 2023. Gestern hatte ich die Notoperation.
Ich war auf einer Bikepacking-Reise durch Kolumbien, als ich plötzlich schwach wurde – hohes Fieber, eine Infektion unter der Haut. Ich musste die Reise abbrechen und nach Quito (Ecuador) zurückkehren. Der Arzt sagte, dass wir sofort operieren müssen – nicht morgen, sondern jetzt.
Meine Gedanken schweifen zurück nach Deutschland, zu meinem lieben Freund Anselm. Drei Wochen ist es jetzt her, seit seinem schrecklichen Unfall. Mit 50 km/h in die Granitwände des Mont-Blanc-Massivs. Mit den Füßen voran prallte er beim Gleitschirmfliegen gegen die Felsen. Beide Füße zerschmettert, Hüfte und Wirbelsäule gebrochen. Ich frage mich: Wird er jemals wieder laufen können? Die Nachricht von seinem Unfall lastet schwer auf mir – wie eine graue Wolke, die mich seit Wochen begleitet, auch auf der Reise durch Kolumbien.
Ein seltsamer Zufall: Jetzt liegen wir beide in Krankenhausbetten.

März 2024
Ich hole Anselm vom Flughafen in Quito ab. Tränen steigen mir in die Augen, als ich sehe, wie er auf eigenen Füßen auf mich zuläuft. Vor sich her schiebt er seinen riesigen Fahrradkarton. Die äußerlichen Wunden sind verheilt, doch wir wissen nicht, wie weit die Heilung fortgeschritten ist. Wir müssen es einfach ausprobieren. Wir fühlen uns bereit, unsere bisher längste Bikepacking-Tour anzugehen – zwei Monate quer durch die equadorianischen und peruanischen Anden, vorbei an den majestätischen Vulkanen Cotopaxi und Chimborazo, bis ins Herz der Cordillera Blanca in Peru. Der Höhepunkt unserer Reise soll der Santa-Cruz-Trek sein. Wir wissen nicht, ob jemals ein Fahrrad durch den schmalen Santa-Cruz-Canyon bis zu den wilden Plateaus des Alpamayo-Massivs geschoben oder gefahren wurde.

In den ersten Wochen unserer Reise testen wir unsere Grenzen in den hohen Páramos der ecuadorianischen Cordillera. Wir erleben herzerwärmende Begegnungen mit den einzigartigen Bergbewohnern – und eisige Kälte. Anselm lernt, was seine Füße wieder leisten können. Er bewegt sich anders als bei früheren Touren, gewinnt langsam das Vertrauen in seinen Körper zurück und lernt erneut, das raue Gelände zu meistern. Sein Fortschritt beeindruckt mich jeden Tag.
Nach etwa einem Monat erreichen wir den Santa-Cruz-Trek. Es ist machbar. Hart, ohne Zweifel – aber wir müssen es versuchen. Wir schätzen, dass wir vier Tage für den Trek brauchen werden. Es wird viel Schieben sein, aber dazwischen erwarten uns einige der schönsten Landschaftsfahrten.

Unser Aufbruch verzögert sich. In der Nacht vor dem großen Anstieg wird Anselm krank. Sein Magen macht ihm zu schaffen. Wir beschließen, einen Tag im Dorf Cashapampa zu ruhen, bevor wir den steilen Aufstieg durch den Canyon in die Alpamayo-Täler beginnen. Der Alpamayo – einst als der schönste Berg der Welt nominiert – versteckt sich hinter dichten Wolken, als wir ankommen. Schon hinter dem Zeitplan, überlegen wir, ob wir warten sollten. Am Abend geht die Sonne hinter dem Taulliraju auf der anderen Talseite unter, und der Wind frischt auf, bläst die dichten Wolken weg. Endlich zeigt sich der Alpamayo. Für eine halbe Stunde dürfen wir diesen atemberaubenden Anblick des perfekten Kegels genießen.
Sieben Tage später erreichen wir Punta Unión auf 4.750 Metern, unseren ersten Pass. Nach einer malerischen Abfahrt ins Dorf La Vaquería verlassen wir das Singletrack-Terrain und nehmen die Schotterstraße zu unserem letzten Zeltplatz am Fuße des imposanten Copicalqui, wo wir unsere letzte Nacht im Schatten der Berge verbringen.

Am zehnten und letzten Tag auf dem Trek erklimmen wir den 4.707 Meter hohen Pass, der die beiden höchsten Gipfel der peruanischen Anden voneinander trennt: links Huascarán und rechts Huandoy. Wir gleiten die malerischen Serpentinenstraßen hinab, vorbei an türkisfarbenen Lagunen, und erreichen am späten Nachmittag das Dorf Yungay. Wir fühlen uns erfüllt – erfüllt von Dankbarkeit, dass unsere Körper, unser Geist und unsere Seele diese Reise möglich gemacht haben. Nie sollte ich meinen gesunden Körper als selbstverständlich betrachten. Ich bin mir sicher, dass Geist, Körper und Seele aufeinander angewiesen sind. Die Natur heilt meinen Geist. Und auch mein Körper wird stärker, weil ich mich so tief in die Natur begebe – davon bin ich überzeugt.
Wir sind erschöpft, stolz und demütig. Obwohl wir ursprünglich geplant hatten, den Trek in vier Tagen zu fahren, haben uns die Berge für zehn Tage festgehalten. Vielleicht ist es genau das, was wir brauchten. Vielleicht war es unsere Heilung.